Monthly Archive for February, 2009

Keine Suppe seit der Bronzezeit

 
Die Grundlage unseres heutigen Wirtschaftens ist das Eigentum. Das Eigentum entsteht oder besser wird garantiert durch angewandte Macht, ausgeübt mittels Waffengewalt gegen den Leib oder – wie in unserer Zeit – durch einen Staat, der diese Gewalt in institutionalisierter Form ausübt mittels Polizei und Arrest. Aus dem gesicherten Eigentum folgen die Pfänder und damit aller Kredit, alle Schuld und alles Geld als die umlauffähige Variante von Schuld, nämlich Leistung, die man auf Vorrat halten oder weitergeben kann und die erst im Bedarfsfall abgerufen wird.

Die eigentliche Zukunftsaufgabe des Staates ist, das Eigentum zu transzendieren. Erst wenn wir eine Welt haben, in der Eigentum, Geld und Pfänder keine Rolle mehr spielen, brauchen wir uns darüber nicht mehr zu streiten und erst dann können wir uns um die wichtigen Dinge kümmern.

Man verfällt ja nur deshalb auf die durchaus verlockende Vorfinanzierung, weil immer überschüssige, brachliegende Pfänder da sind, also Pfänder, die nicht in Beschlag genommen sind und deshalb für Vorleistungen verpfändet werden können. Dabei tritt das Phänomen auf, daß fällig gestellte Kredite nicht bedient werden können wegen den Wechselfällen des Lebens und daß daraus Schwankungen in den Bewertungen der Schulden und ihrer Spiegelung, den Guthaben entstehen.

Im Moment sind wir in eine Kontraktionsphase eingetreten, in der viele Kredite wieder getilgt werden sollen, wo die Leute im Sinne von Geld ist umlauffähig gemachte Schuld halt diese Guthaben bei ihren Schuldnern jetzt mal einlösen wollen gegen Leistungen, und es sich zeigt, daß große Teile dieser Leistungen einfach nicht da sind. Die Vorleistungen wurden verbaut, verplempert oder was auch immer, jetzt ist die versprochene Energie schlicht nicht da. Der Schuldner ist nicht in der Lage zu leisten – das klassische Risiko aller Vorfinanzierung und der Moment, wo sich ein bis dahin für werthaltig angesehenes Guthaben in eine schwer, das heißt erst in fernerer Zukunft, oder in eine garnicht einbringbare Forderung verwandelt. Deshalb das gegenwärtige Krisengeschrei; man versucht von seiten des Staates zu retten, indem man weitere Vorfinanzierung in einem nie gekannten Ausmaß verspricht. Die Experten rätseln noch, ob daraus Inflation entsteht oder Deflation oder gar beides, der gesunde Menschenverstand muß einfach sagen: es geht nicht, es kann nicht gehen. Wenn der Hungrige seinen Gutschein gegen eine Suppe einlösen will, dann hilft ihm nur die Suppe gegen seinen Hunger, und nicht ein neuer Gutschein, auch nicht einer aus Gold. Versprechen können nicht durch weitere Versprechen eingelöst werden, eine Prolongation tilgt nicht.

Eigentum ist ein Konzept aus der Bronzezeit. Mit meinem Bronzeschwert, damit schlug ich dir vor den Kopf und sicherte so mein Eigentum. Das wurde dann abgelöst durch Schuld, Pfand und Geld statt körperlicher Strafe und durch den Staat statt Schwert und so weiter und muß nun transzendiert werden im 21. Jahrhundert, muß durchdrungen und überwunden werden.

Damit meine ich nicht, das Eigentum irgendwie gerecht oder gleichmäßig auf Alle zu verteilen oder zu Vergesellschaften oder irgendwas in dieser Art, sondern das ganze Konzept Eigentum aufzugeben, und damit auch die sichernde Gewalt. Denn die Bronzezeit liegt hinter uns; wenn zurück, dann höchstens in die Steinzeit, vor der Seßhaftwerdung, auch als Paradies bekannt.
 

Tote Liebe

 
Man hört gelegentlich sagen, in aller Literatur gehe es in der Hauptsache um Liebe und Tod. Das klingt und macht sich gut, ist aber falsch. Was sich über beides Gehaltvolles sagen läßt, passt jeweils auf ein Blatt, und eine Literatur, die sich nur damit befasste fände keine Leser, denn sie wäre entsetzlich langweilig.
 

Ich sehe was, das du nicht siehst …

 
Halluzination – Wahrnehmen von Dingen, die nicht vorhanden sind.

Illusion – Wahrnehmen von Dingen anders als sie sind.

Vision – Wahrnehmen einer Erscheinung, z.B. etwas das gegenwärtig nicht ist, aber bereits gewesen war oder zukünftig sein wird. Spezialfall der Halluzination, Pragmatiker raten zu sofortiger ärztlicher Behandlung.
 

Weites Feld

 

Das nennt sich atma, das Selbst, ein Ozean des reinen Bewußtseins. Es heißt, erkenne dich selbst, das ist das Feld, das ist es, wo alles herkommt, uns eingeschlossen, das ist unsere Heimat. Man ist hier und genießt es und versteht immer mehr, und man wird ganz verrückt und steht frühmorgens schon auf mit einem Kopf voller Ideen und alles was einen bis dahin gequält hat, hebt sich wie ein Gewicht von dir.

Der amerikanische Filmregisseur David Lynch in einem Interview.

 

Sterben müssen, aber leben wollen

 
Der tapfere Christoph Schlingensief hatte sich das sicher auch anders vorgestellt:

Interview

 

Stierhoden, halbiert

 
Neulich in einem Lokal in der Kreisstadt aßen wir unter einem Spiegel mit diesem Rahmen:

Spiegelrahmen

Spiegelrahmen


Das hatte ich schonmal wo gesehen, und zwar an Ruinen in Teos
Kapitell Teos

Kapitell Teos


und Ephesos an der kleinasiatischen Küste.
Kapitell Ephesos

Kapitell Ephesos


Das Essen war übrigens vorzüglich.

 

Kopffreiheit

 
Die Höhe der Zimmerdecke wirke sich auf die Konzepte aus, die im Kopf entstehen. Manager sollten höhere Decken haben, Techniker und Buchhalter niedrigere.

Man könnte den Leuten auch raten: öfter mal Rausgehen!
 

Ausweitung der Sinne

 

Die Presse wiederholt das erregende Gefühl, das wir kennen wenn wir unseren Verstand gebrauchen, und wenn wir das tun, können wir die äußere Welt in den Stoff, aus dem wir gemacht sind, übersetzen. Dieses erregende Erleben des Übetrtragens erklärt, warum die Menschen ganz natürlich danach verlangen, ihre Sinne dauernd zu gebrauchen. Jene äußere Ausweitungen unserer Sinne und Fähigkeiten, die wir Medien nennen, verwenden wir genauso beständig wie unsere Augen und Ohren und auch aus den selben Beweggründen. Andererseits betrachtet der literarisch ausgerichtete Mensch diesen pausenlosen Einsatz der Medien als etwas Minderwertiges; das ist in seiner Welt des Buches etwas Ungewohntes.

Marshal McLuhan, Understanding Media

Soviel zum pausenlosen Fernsehen oder Internetgebrauch.
 

Die Zwölf und die Sieben

 
Altmeister Goethe beginnt seine Lebensbeschreibung Dichtung und Wahrheit mit der Schilderung der himmlischen Aspekte bei seiner Geburt:

Am 28. August 1749, mittags mit dem Glockenschlage zwölf, kam ich in Frankfurt am Main auf die Welt. Die Konstellation war glücklich; die Sonne stand im Zeichen der Jungfrau, und kulminierte für den Tag; Jupiter und Venus blickten sie freundlich an, Merkur nicht widerwärtig; Saturn und Mars verhielten sich gleichgültig: nur der Mond, der soeben voll ward, übte die Kraft seines Gegenscheins um so mehr, als zugleich seine Planetenstunde eingetreten war. Er widersetzte sich daher meiner Geburt, die nicht eher erfolgen konnte, als bis diese Stunde vorübergegangen.

und erwähnt dabei eine Planetenstunde, nämlich die des Mondes. Uns Trägern mechanischer Uhren, die gleichförmige Sekunden abzählen ist diese Art von Stunden nicht mehr geläufig. Die Alten zählten zwölf Tages- und zwölf Nachtstunden, die naturgemäß je nach Jahreszeit eine unterschiedliche Länge hatten und ordneten jeder dieser Stunden einen der sieben Wandelsterne zu, und zwar in der Reihenfolge ihrer Umlaufgeschwindigkeit vom Langsamsten zum Schnellsten. Die erste Stunde des Montags – ab Sonnenaufgang – regiert der Mond, die Zweite der Saturn, dann folgen Jupiter, Mars, Sonne, Venus, Merkur, mit der Achten beginnt die Reihe wieder von vorne. Fährt man nach diesem Muster fort, gehört die vierundzwanzigste Stunde dem Jupiter und die darauf folgende erste Stunde des Dienstags dem Mars; solcher Art die Planeten den restlichen Stunden der Woche zugeteilt, wird jeweils die erste Stunde am Mittwoch von Merkur, am Donnerstag von Jupiter, am Freitag von Venus, am Samstag von Saturn und am Sonntag von der Sonne regiert. Daher rühren offenkundig die Namen der Wochentage, was die französischen und englischen Bezeichnungen deutlicher zeigen, im Deutschen sind die römischen Gottheiten “germanisiert” worden (Jupiter zu Donar in Donnerstag, Venus zu Freya in Freitag usw.).

 

Planetenstunden

Planetenstunden


 

Doch zurück zu Goethes Schilderung, berechnen wir nun die Uhrzeit der Mondstunde, die wir in Anlehnung an die Griechen auch Mond-Hore nennen können, für seinen Geburtstag, der ein Donnerstag war, so ergibt sich, daß sie von 11:17 bis 12:25 Uhr dauerte. Allerdings war damals noch keine MEZ vereinbart, sondern es ist zu vermuten, daß die wahre Ortszeit verwendet wurde. Die genannte Zeit von 12:25 Uhr MEZ gilt für 15° östliche Länge, für Frankfurt mit 8,6° muß man 6,4 mal 4 Minuten abziehen, das ergibt eine Ortszeit von 11:48 Uhr.

Nachtrag: Das Deutsche Reich ging am 1.4.1893 zur Mitteleuropäischen Zeit über (15° Görlitz). Die landesweite Einheitszeit war durch die Verbreitung der Eisenbahn nötig geworden.